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Stigmatisierung bei Adipositas: Selbst schuld?

Adipositas ist keine Frage der Willensschwäche. Auch wenn das viele Menschen glauben. Wir machen den Faktencheck „Stigmatisierung bei Adipositas“.

4 min. Lesezeit
Menschen mit Adipositas werden in unserer Gesellschaft oft selbst für ihr Schicksal verantwortlich gemacht. Unsere Zeichnung zeigt eine Frau mit Übergewicht, auf die viele verschiedene Finger gerichtet sind.

Wer übergewichtig ist, kämpft nicht nur gegen die Pfunde, sondern auch gegen eine ganze Reihe von Vorurteilen. Wer dick ist, gilt in erster Linie als faul, undiszipliniert und willensschwach. Die Verantwortung für das Übergewicht wird meist dem Einzelnen und seinem Verhalten zugeschrieben. „Selbst schuld“ steht dick auf dem Stigma-Stempel. Laut einer Studie haben 38 Prozent der Menschen mit einem Body-Mass-Index über 40 Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung und Mobbing gemacht. Trotz vieler Aufklärungsversuche halten sich die Schuldzuweisungen, die Dicke für Ihre Pfunde bekommen, hartnäckig. Wir finden, es wird Zeit, dass sich das ändert!

Kennst du deinen Body-Mass-Index? Hier erfährst du, wie du deinen BMI berechnest.

Hintergrund: Was ist Stigmatisierung?

Stigmatisierung bezeichnet die gesellschaftliche Ablehnung oder Diskriminierung einer Person oder Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale. Das kann die Hautfarbe, ein körperliches Handicap, das Alter oder die Nasenlänge sein, aber auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder die sexuelle Orientierung. Das Wort Stigma stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Brandmal, Merkmal oder Kennzeichen. Dieses Merkmal entspricht in der Regel nicht der „Norm“ in der Gesellschaft. Das Anderssein kann zu Ungleichbehandlung, Benachteiligung und Diskriminierung führen. 

Was sind die Ursachen für eine Stigmatisierung?

Eine der häufigsten Ursachen für Stigmatisierung ist das äußere Erscheinungsbild, allen voran das Körpergewicht und sichtbare Hautkrankheiten. Auch Menschen mit psychischen Erkrankungen werden häufig in unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Die wichtigsten Gründe für Stigmatisierung im Zusammenhang mit Adipositas sind:

  • Schönheitsideale: Die Stigmatisierung von Übergewicht resultiert häufig aus vorherrschenden Schönheitsidealen, die schlanken Körpern einen höheren Wert zuschreiben. Medien und Werbung spielen bei der Prägung von Schönheitsstandards eine entscheidende Rolle.
  • Fehlinformationen und Vorurteile: Viele Menschen haben falsche Vorstellungen über die Ursachen von Übergewicht. Häufig wird angenommen, dass Übergewicht ausschließlich auf mangelnde Disziplin, Faulheit oder einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen ist. Selbst Fachleute sind vor Stigmatisierung nicht gefeit. In einer Umfrage unter Internisten und Allgemeinmedizinern aus dem Jahr 2016 gaben 58 Prozent der befragten Ärzte fälschlicherweise an, Übergewicht sei auf mangelnde Disziplin und Bequemlichkeit zurückzuführen.
  • Mangelndes Wissen: Adipositas ist eine komplexe Erkrankung, die durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird, darunter genetische Veranlagung, Umweltfaktoren oder psychische Aspekte. Mangelndes Wissen kann zu oberflächlichen Urteilen und stigmatisierenden Einstellungen führen.
  • Selbststigmatisierung: Die negativen Eigenschaften, die Menschen mit Adipositas zugeschrieben werden, fließen häufig in ihre Selbstbewertung ein. Dies kann dazu führen, dass sie ein geringes Selbstwertgefühl entwickeln. Die Folge: Betroffene meiden soziale Aktivitäten, ziehen sich zurück und geraten in einen emotionalen Teufelskreis aus sozialem Rückzug, Stress, Stoffwechselveränderungen und vermehrtem emotionalen Essen. Stigmatisierung fördert also keineswegs die Motivation, „endlich abzunehmen“. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Studie aus dem Jahr 2007 zeigt, dass Mädchen mit einem schlechten Körpergefühl deutlich mehr zunahmen als Mädchen mit einem guten Körpergefühl.

Schämst du dich manchmal für deinen Körper? Oder dafür, dass du nicht regelmäßig Sport treibst? Damit ist jetzt Schluss! Schuldgefühle und Scham haben bei Adipositas nichts zu suchen. Mehr zu diesem Thema kannst du auch in unserem Blogbeitrag Adipositas: Schluss mit Scham und Schuldgefühlen! nachlesen.

Was kann ich gegen Stigmatisierung tun?

Menschen, die wegen ihres Übergewichts stigmatisiert werden, haben verschiedene Möglichkeiten, sich zu wehren und dem emotionalen Teufelskreis zu entkommen. Wir haben einige Empfehlungen für dich zusammengestellt:

  • Lerne, dich selbst zu lieben: Sich selbst zu lieben, fällt vielen Menschen schwer. Aber es tut dir garantiert gut, wenn du in deinen Gedanken nachsichtig und liebevoll mit dir umgehst. Feiere deine Erfolge, vergleiche dich nicht mit anderen und achte auf deine Bedürfnisse. Denn du bist attraktiv, aktiv, stark, selbstbewusst und hast selbstverständlich ganz viel Selbstkontrolle!
  • Informiere dich über Adipositas: Du selbst kannst Vorurteile abbauen und für mehr Verständnis werben, indem du dich gut über Adipositas, ihre Ursachen und Folgen informierst, z.B. hier.
  • Suche dir Unterstützung: Die Unterstützung von Freunden, Familie und Kollegen ist Gold wert. Sprich mit deinen Mitmenschen offen über deine Gefühle und Erfahrungen.
  • Achte auf deinen Lebensstil: Achte auf deine Gesundheit, unabhängig vom Urteil anderer. Dazu gehören regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und andere gesundheitsfördernde Gewohnheiten.
  • Stärke dein Selbstbewusstsein im sozialen Umfeld: Positioniere dich bewusst in sozialen Situationen. Das schützt dich vor negativen Einflüssen. Eine klare Kommunikation über persönliche Grenzen ist dabei entscheidend.
  • Mach auf Stigmatisierung aufmerksam: Benenne Diskriminierungen aktiv und mache auf sie aufmerksam. Das Teilen deiner Erfahrungen kann dazu beitragen, das Bewusstsein für die Auswirkungen von Stigmatisierung zu schärfen.
  • Teile deine Erfahrungen: Teile deine Geschichte, sprich bei Veranstaltungen und engagiere dich in sozialen Medien.
  • Suche dir bei Bedarf professionelle Hilfe: Gesundheitsberater, Psychologen oder Ernährungsberater können dir helfen, mit den psychologischen und emotionalen Herausforderungen der Stigmatisierung umzugehen. Zögere nicht, dir Hilfe zu suchen.
  • Hier kannst du ärztliche Unterstützung in deiner Nähe finden.
  • Finde Gleichgesinnte: Selbsthilfegruppen oder Online-Foren bieten dir die Möglichkeit, dich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, Unterstützung zu finden und gemeinsam Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
  • Erfahrungen anderer Betroffener kannst du dir auf unserer Seite DEEP talks anschauen.
  • Setze Grenzen und achte auf dich: Schütze dich vor toxischen Einflüssen, ziehe klare Grenzen und nimm dir Zeit für Entspannung und positive Aktivitäten.

ECHT JETZT? Übergewicht braucht keinen Kommentar!

Mit unserer neuen Kampagne „ECHT JETZT?“ stoßen wir eine längst überfällige Diskussion an. Wir finden, es muss endlich Schluss sein mit den vielen uncoolen und fiesen Ratschlägen, die Menschen mit Übergewicht über sich ergehen lassen müssen. Denn Übergewicht braucht keine Ratschläge, sondern Verständnis und echte Unterstützung!

Quellen:
  1. Ärztezeitung (2023): Dickes Stigma bei Adipositas und Diabetes
  2. Leopoldina (2019): Übergewicht und Adipositas: Thesen und Empfehlungen zur Eindämmung der Epidemie
  3. Stiftung Gesundheitswissen (2019): Selbst schuld? – Stigmatisierung von Krankheiten
  4. Universität Leipzig (2018): Stigmatisierung bei Adipositas
  5. Informationsdienst Wissenschaft (2015): Studie: Schwer adipöse Menschen fühlen sich diskriminiert
  6. Pfizer (k. A.): Stigmatisierung
  7. Adipositas Netzwerk Rheinland-Pfalz (k. A.): Stigmatisierung von Übergewichtigen

PM-number: DE24OB00068